Gutes Beispiel
Kommunaler Flüchtlingsdialog im Landkreis Heidenheim
"Miteinander reden - nicht übereinander."
Draußen vor der Waldkirche reckten die Bäume ihre kahlen Äste in den Himmel. Typisch Februar eben. Doch drinnen wurde an diesem Tag ein bunter Strauß an Gedanken gebunden, wie Integration von geflüchteten Menschen funktionieren kann. Dies war das Thema des „Kommunalen Flüchtlingsdialogs im Landkreis Heidenheim“. Und der machte Mut.
Hier, wo früher der Altar stand, werden schon lange keine Predigten mehr gehalten. Denn die Waldkirche im schwäbischen Heidenheim ist seit über einem Jahr kein Gotteshaus mehr. Aus Kostengründen wurde sie geschlossen und ist dennoch ein Ort für Gespräche geblieben. Seit wenigen Monaten ist hier das Begegnungszentrum für Migration und Ehrenamt untergebracht, das wohl beste Forum für den kommunalen Flüchtlingsdialog im Landkreis Heidenheim.
Hier, wo früher der Altar stand, prangte am 18. Februar die Leitfrage des Tages: „Wie leben wir zukünftig zusammen?“ Das Moderatoren-Duo Ulrike Bauer und Martin Schwarz von der Führungsakademie Baden-Württemberg ermunterte die etwa 150 Gäste, ehrenamtliche Helfer wie Geflüchtete, den Tag gemeinsam zu gestalten: „Wir sind heute alle hier, da der Landkreis Heidenheim in der Frage, wie Integration nachhaltig funktionieren kann, von ihren Ideen profitieren möchte.“
Die Ziele des kommunalen Flüchtlingsdialogs im Landkreis Heidenheim
- Information der Einwohnerinnen und Einwohner über Aktivitäten der Verwaltung für eine nachhaltige Integration
- Persönliches Kennenlernen und Austausch aller an Integration interessierter Menschen
- Wertschätzung und Anerkennung der bisherigen Leistungen ehrenamtlicher und hauptamtlicher Aktiver sowie Motivation für weiteres Engagement
- Entwicklung einer Zukunftsvision, Analyse von Handlungsfeldern, Identifizierung von Akteur/innen und Herausforderungen nachhaltiger Integration.
Mehr Akzeptanz gewünscht
Landrat Thomas Reinhardt begrüßte die Gäste: „Noch vor zwölf Monaten sahen wir uns einer gewaltigen Aufgabe gegenüber, die zu uns kommenden Flüchtlinge unterzubringen. Eine Mammutaufgabe, deren Lösung uns damals größte Kraft kostete. Im Vergleich zu 2015 kommen nun deutlich weniger Flüchtlinge in den Landkreis, so dass wir unsere Kräfte nun auf die Integration der Frauen, Männer und Kindern richten, die in Deutschland bleiben dürfen.“ Dies sei, so Thomas Reinhardt, jedoch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden: „Die Sprachkenntnisse unserer neuen Nachbarn sind oft noch mangelhaft, Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse sind nicht vorhanden oder nicht vergleichbar, es fehlt an bezahltem Wohnraum und die Akzeptanz in der Bevölkerung muss noch gesteigert werden. Von allergrößter Bedeutung ist sicherlich die Integration in den Arbeitsmarkt.“
Der Landrat macht jedoch auch deutlich, dass man Integration nur fördern kann, wenn man auch im Hinblick auf die Gefahr von Terroranschlägen gleichzeitig ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung setzt: „Die Taten Einzelner dürfen nicht zu einer pauschalen Verurteilung aller Fremden führen. Statt Hetze und Hass, statt lauter Provokation und Scharfmacherei, brauchen wir ein faires und menschliches Miteinander.“
Aus Betroffenen Beteiligte machen
So sah das auch Manfred Lucha: „Wir müssen miteinander sprechen und nicht übereinander.“ Der baden-württembergische Sozial- und Integrationsminister forderte in seinem Grußwort eine breitaufgestellte Bürgerbeteiligung: „Konstruktive Dialoge bieten die Möglichkeiten zur Vernetzung, denn die Integration wird vor Ort gelebt. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass aus Betroffenen Beteiligte werden. Eine große Hilfsbereitschaft seitens der Bevölkerung ist noch immer die beste Wertevermittlung für die Geflüchteten.“
Steuerliche Erleichterungen für den sozialen Wohnungsbau
Beim anschließenden Podiumsgespräch mit Moderatorin Ulrike Bauer wagte Landrat Thomas Reinhardt einen Blick in die Zukunft: „Heute ist es wichtig, dass die Geflüchteten so schnell wie möglich in Lohn und Brot kommen. Hierfür ist es entscheidend, dass sie sich jedoch nicht nur in groben Zügen verständigen können, sondern die deutsche Sprache erlernen. Ich freue mich, wenn sie sich in einigen Jahren vielleicht sogar bei uns in den Gemeinderäten oder im Kreisrat engagieren.“
Sozialminister Manfred Lucha setzte sich für steuerliche Erleichterungen ein, für all diejenigen, die im sozialen Wohnungsbau investieren möchten: „Wir müssen in zwei Jahren von den Sonderprogrammen für Flüchtlinge wegkommen und dafür sorgen, dass alle Menschen in unseren Kommunen bezahlbarer Wohnraum zugutekommt. Das Ziel der momentanen Unterstützung der Geflüchteten ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.“ Als Antwort auf kritische Stimmen aus dem Publikum, dass es keine Anschlussunterbringungen in Heidenheim gebe und dass Flüchtlinge trotz guter Sprachkenntnisse zum Teil abgeschoben würden, sagte der Politiker: „Im Ländervergleich haben wir in Baden-Württemberg das humanste Asylrecht. Dennoch kommen auch wir nicht an geordneten Rückführungen vorbei. Es gilt praktikable Mittelwege zu finden.“
Deutlich mehr Sprachkurse
Ohne ausreichende Sprachkenntnisse ist Integration schwierig. Diese Aussage klang in fast allen Redebeiträgen an, und dies bestätigte auch Dr. Agop Vartan. Der syrische Zahnarzt schilderte Moderator Martin Schwarz, welche Hürden Flüchtlinge nehmen müssen: „Wenn man Englisch kann ist das in vielen Fällen gut, doch an dem Erlernen der deutschen Sprache kommt niemand vorbei. Dies ist Grundvoraussetzung, um die Aufenthaltserlaubnis zu bekommen sowie eine anständige Bleibe zu finden. Aus diesem Grund ist es positiv, dass der Landkreis uns Geflüchteten nun nicht mehr nur 100, sondern 300 Stunden Sprachkurs gewährt.“
Ehrenamtliche dürfen nicht zu kurz kommen
Prof. Dr. Sigrid Kallfaß mahnte in ihrem kurzen Vortrag an, dass beim Thema Integration das gesamte bürgerschaftliche Engagement gefördert werden muss. „Viele ehrenamtlich Engagierten befürchten, dass sie zu kurz kommen“, so die Leiterin des Meersburger Steinbeis-Transferzentrums Sozialplanung, Qualifizierung und Innovation: „Man muss die soziale Gemeinschaft immer als Ganzes sehen.“ Das Begegnungszentrum für Migration und Ehrenamt in Heidenheim sei ein guter Ort hierfür: „Es ist ein offenes Haus für Verwaltung und Bürger, Arbeitssuchende und Arbeitgeber, junge und alte Mitbürger und für Menschen verschiedener Religionen.“
Schwellenängste abbauen
Neben den Redebeiträgen am Vormittag war die nachmittägliche Arbeit in den fünf Workshops „Berufsausbildung und Arbeit“, „Sprache und Bildung“, „Gesellschaftliche Teilhabe“, „Frauen und Jugend“ sowie „Wohnen und Zusammenleben“ der zweite wichtige Teil des Programms.
Als Beispiel seien hier die Ergebnisse des Workshops „Gesellschaftliche Teilhabe“ genannt, dessen Teilnehmer sich wünschten, dass es irgendwann keine Grenzen mehr in den Köpfen gebe und die Herkunft anderer Mitbürger unwichtig werde. Sie forderten eine Ausweitung der Sprachangebote sowie deutlich mehr dezentralisiert organisierte Treffen und Begegnungen, damit die vorhandenen Schwellenängste in der Bevölkerung abgebaut werden können.
„Unser Leben ist alles“
Nach der Vorstellung der Ergebnisse bedankte sich Peter Polta für die vielen Anregungen und beteuerte, dass diese nicht in einer Schublade verschwinden würden. „Die Integration wird durch die zunehmende Zahl an Anerkennungen der Bewerber immer mehr an Bedeutung gewinnen. Deshalb darf sie nicht zum Thema Einzelner gemacht werden“, so der erste Landesbeauftragte des Landratsamtes Heidenheim, der die Ideen in ein geplantes Integrationskonzept des Landkreises einfließen lassen möchte.
Moderatorin Ulrike Bauer freute sich zum Abschluss der Veranstaltung, dass sich im Lauf des Tages und gerade in den Workshop-Gruppen so viele Schnittpunkte ergeben hätten, die alle Menschen betreffen und bewegen: „Dies alles gehört zu unserem Leben. Unser Leben ist alles.“
Nachgefragt! Wie kann Integration funktionieren?
Statements von Teilnehmerinnen und Teilnehmern des „Kommunalen Flüchtlingsdialogs Heidenheim“
Statement von Thomas Reinhardt, Landrat Heidenheim
„Hierfür gibt es leider kein Patenrezept, jedoch viele Bausteine, die dazu beitragen können. Im Landkreis Heidenheim wurden schon eine ganze Menge Bausteine gesetzt: Ganz wichtig war sicherlich die Einrichtung des Integrationszentrums Heidenheim im Sommer 2016. Alle relevanten Stellen können hier eng vernetzt arbeiten. Ein weiterer bedeutender Schritt war die Einrichtung des Begegnungszentrums Migration und Ehrenamt. Mit ihm haben wir einen Ort für den Austausch zwischen Menschen aus dem ganzen Landkreis sowie für integrative Projekte geschaffen. Dazu gehören auch die hier stattfindenden Sprachkurse, denn gerade der Sprache kommt eine Schlüsselfunktion bei der Integration zu. Weitere Bausteine sind die Integrationsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung mit Kooperationspartnern in der Berufshilfe sowie die Unterstützung durch den Arbeitskreis „Berufliche Ausbildung und Arbeit für Flüchtlinge im Landkreis Heidenheim“. Ganz wichtig für die Integration ist sicherlich auch die Unterstützung der Geflüchteten durch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, auf die wir im Landkreis Heidenheim ebenfalls setzen können.“
Statement von Brigitte Combosch, Netzwerksprecherin „Freundeskreise Asyl im Landkreis Heidenheim“
„Die konkreten Schritte zur Integration müssen zeitlich straffer vollzogen werden. So muss zum Beispiel die Frage nach dem Wohnort der Flüchtlinge schneller geklärt werden, um zu vermeiden, dass ein Kind in einem Jahr drei Mal die Schule wechseln muss. Auf der anderen Seite müssen die Flüchtlinge mehr Offenheit und Bereitschaft zeigen, sich in Deutschland einleben zu wollen.“
Statement von Dr. Agop Vartan aus Syrien
„Wir Flüchtlinge müssen so schnell wie möglich Kontakt zu den deutschen Bürgen aufbauen und versuchen, Freundschaften zu schließen. Es macht keinen Sinn, sich nur mit Landsleuten zu treffen. Man muss neugierig sein und versuchen die Strukturen der Stadt kennenzulernen sowie das politische System und die Geschichte Deutschlands zu verstehen.“
Statement von Sabra Shaza aus Syrien
„Das Wichtigste ist, das Erlernen der deutschen Sprache. Und dies betrifft alle Flüchtlinge gleichermaßen. Sonst wird es immer eine große Mauer zwischen uns geben. Denn die Sprache öffnet Türen. Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass wir Flüchtlinge nicht zu oft den Wohnort wechseln müssen, denn das ist hart und macht Integration so gut wie unmöglich.“