Gutes Beispiel
Erfolgreicher Frauendialog Flüchtlingsarbeit in Schwäbisch Gmünd
„Das Wort ‚Tschüssle‘ kenne ich nicht aus dem Deutschkurs.“ Diese Bemerkung von Somaye Amiri rief Heiterkeit in der Runde hervor. Die Ärztin Amiri, vor sechs Monaten aus Afghanistan nach Deutschland gekommen, berichtete von ersten Begegnungen mit Land und Leuten, die sie bei einem Praktikum im Krankenhaus gemacht hat. Und wie auf jede Nichtschwäbin, sei sie aus Kassel, sei sie aus Kabul, übt die schwäbische Mundart einen exotischen Reiz auf Somaya Amiri aus.
Forderungen stellen und durchsetzen
Doch die rund einhundert Frauen, die sich am 16. Juni zum Frauendialog Flüchtlingsarbeit im historischen Refektorium im „Prediger“ – einem ehemaligen Dominikanerkloster in Schwäbisch Gmünd – trafen, waren nicht gekommen, um Anekdoten auszutauschen. Das hatte schon die Organisatorin der Veranstaltung, Schwäbisch-Gmünds Flüchtlingsbeauftragte Daniela Dinser, in ihren Begrüßungsworten unmissverständlich ausgesprochen: „Wir wollen hier klare Forderungen erarbeiten und formulieren und im Nachgang auf deren Umsetzungen hinwirken.“
Spezielle Angebote für Frauen
Die Flüchtlingsbeauftragte machte deutlich, warum es beispielsweise spezielle Sprachkurse für Frauen geben muss. „Viele der Geflüchteten entstammen aus Kulturen, in denen die Männer deutlich dominieren. Viele Männer können es sich einfach nicht vorstellen, vor den Augen und Ohren ihrer Frauen korrigiert zu werden.“ Auch sei in den geflohenen Familien die Kinderbetreuung und Erziehung in der Regel alleinige Sache der Mütter. Daher brauche man Sprachkurse, bei denen eine Kinderbetreuung gewährleistet sei.
Auf Augenhöhe
Ein Grundprinzip der Flüchtlingsdialoge hob Daniela Dinser hervor: „Wir wollen mit den Menschen, die zu uns gekommen sind, reden – nicht über sie.“ Wichtig sei dabei, dass man sich nicht in Beliebigkeiten verliere: „Auf der einen Seite steht die Anerkennung des Rechts und der Werte der aufnehmenden Gesellschaft, im Gegenzug erfahren die Geflohenen Anerkennung als Menschen und Mitbürger.“
Fluchtursachen und Ankunft
Einblicke in die Praxis und den Stand der Dinge bei Unterbringung und Integration brachte die sich anschließende Gruppendiskussion. Khaloud Shaker berichtete zunächst eindringlich von Ihrer Flucht aus Syrien und ihrer Ankunft in Baden-Württemberg: „Unser Haus in Damaskus war zerstört, der Schulweg für meine Kinder lebensgefährlich. Schließlich herrschte in der ganzen Stadt Lebensgefahr. Es war klar, dort konnten wir nicht bleiben.“ Also machte sich die 35-Jährige mit ihren beiden Kindern auf den schweren und gefährlichen Weg nach Deutschland. Die Situation der allermeisten Geflohenen beschrieb sie in einem einfachen eindringlichen Satz: „Ich bin nach Deutschland gekommen, ich kannte niemanden, ich sprach und verstand die Sprache nicht.“ Mit einem strahlenden Lächeln dankte Khaloud Shaker für die gute Aufnahme und Unterstützung, die ihren Kindern und Ihr entgegengebracht wurde, zunächst in Karlsruhe, dann in Schwäbisch Gmünd.
Es bedurfte mehrerer Nachfragen von Moderatorin Elke Heer, der Frauenbeauftragten der Stadt Schwäbisch Gmünd, um Khaloud Shaker einige kritische Aspekte ihres Lebens in Deutschland zu entlocken: „In der Erstaufnahmeeinrichtung herrschten beengte Wohnverhältnisse, es gibt keinerlei Privatsphäre und die hygienischen Verhältnisse waren manchmal nicht besonders gut. Auch das Zusammenleben von sehr vielen Menschen aus verschiedenen Kulturen, mit vielen unterschiedlichen Sprachen auf engstem Raum brachte manches Problem.“ Ein zentrales Problem ist die Sprachmittlung. Dort stößt das Ehrenamt an seine Grenzen. „Behördenpost ist schwieriger zu verstehen als ein Gespräch im Park. Wir brauchen dringend Dolmetscher.“
Erste Erfolge
„Wir haben von Anfang an konkrete Forderungen gestellt. Einige davon sind bereits umgesetzt“ – Margot Wagner, die Sprecherin des Kreisfrauenrates Ostalb zog eine positive Zwischenbilanz. „In der Hochzeit der Flüchtlingskrise mussten wir alleinreisende schwangere Frauen in der Landeserstaufnahmestelle unterbringen, wo 70 Prozent der Gäste junge Männer waren. Inzwischen ist unsere Forderung nach gesonderten Waschräumen für Neugeborene und deren Mütter erfüllt worden.“ Die Forderung des Kreisfrauenrates, umgehend Wohnraum für geflohene Frauen zu schaffen, wurde gewissermaßen sogar übererfüllt: Nachdem die Zahl der geflohenen Menschen, die Deutschland erreichen, stark nachgelassen hat, ist man im Ostalbkreis sogar in der Lage, Frauen, die zunächst anderswo im Land untergebracht sind, geeigneten Wohnraum anzubieten. Nach der Unterbringung gehe es nun um die Vermittlung von Werten. Problematisch sei vielfach die gesellschaftliche und rechtliche Stellung von Frauen in den Herkunftsgesellschaften vieler Geflohener. Margot Wagner wagte eine provokante These: „Wir brauchen Integrations-Männerbeauftragte“.
Öffentliche Aktionen des Roten Kreuzes
Auf praktische Arbeit und öffentlichkeitsschaffende Aktionen setzt das Schwäbisch Gmünder Rote Kreuz. Dessen Beauftragte für interkulturelle Öffnung, Kezban Celik, berichtete unter anderem vom gemeinschaftlichem Iftar (Fastenbrechen im Ramadan) und einer Blutspendeaktion in der örtlichen DITIB-Moschee, in die ganz gezielt geflohene Menschen eingebunden wurden. „Es geht uns in unserer Arbeit darum, Möglichkeiten zum Miteinander zu schaffen.“
Gleichberechtigung erleben
Dass Wertevermittlung nicht nur theoretisch und abstrakt geschieht, zeigte Daniela Kurschat auf. Die Flüchtlingsbeauftragte des Ostalbkreises bemerkte nach einem kurzen statistischen Überblick: „In der Sozialbetreuung begegnen die Geflüchteten fast nur Frauen, die Wohneinrichtungen werden alle von Frauen geleitet. Es ist also für alle gut sichtbar, dass hier die Frauen am Ruder sind.“ Margot Wagner ergänzte: „Auch wenn es nicht immer freiwillig geschehen mag – unser Frauenbild müssen die geflohenen Männer auch ihren Frauen zugestehen.“
Blick nach vorn
Während die Teilnehmerinnen im Anschluss an die Gruppendiskussion an drei Thementischen konkrete Standpunkte und Forderungen an Politik und Verwaltung erarbeiteten (siehe Infokasten) stellte sich hoher Besuch ein; Staatsrätin Gisela Erler, eine der Hauptinitiatorinnen der kommunalen Flüchtlingsdialoge war nach Schwäbisch Gmünd gekommen, um sich über die Ergebnisse der Beratungen zu informieren und ihre Wertschätzung auszusprechen. In einem richtungweisenden Schlusswort zeichnete sie den weiteren Weg der Integration vor: Im Zentrum stehe die die Frage, wie Beziehungen zwischen den Menschen entstehen könnten. Das sei im Hinblick auf die Einwanderinnen in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu wenig geschehen, insbesondere Frauen, die keiner Erwerbsarbeit nachgingen, seien vielfach ausgeschlossen und nicht gut integriert worden.
Keine Patentrezepte
Wichtigste Voraussetzung sei es, sprachliche Hürden im Dialog zu überwinden: „Ohne Übersetzungen geht nichts! Wenn wir mit Menschen sprechen, die die Sprache nicht gut beherrschen, dann halten wir sie für dumm.“ Zum immer wiederkehrenden Thema „Werte und deren Vermittlung“ bemerkte Staatsrätin Erler, dass sich derzeit die aufnehmende Gesellschaft zunächst auf ihren eigenen verbindlichen Kanon verständigen müsse. „Wenn wir darüber in Gesprächsrunden diskutieren, dann kommen erst einmal nur Gleichberechtigung und Mülltrennung.“
Kommunen als Experimentierfeld
Patentrezepte hatte Gisela Erler nicht zu bieten: „Wir sind als Gesellschaft, als Städte und Dörfer zurzeit ein Experimentierfeld. Integration gelingt übrigens am besten in kleinen Dörfern. Unser System der Flüchtlingsarbeit ist bei weitem nicht perfekt. Aber perfekt kann es auch nur sein, wenn keine Flüchtlinge mehr zu uns kommen. Seien wir stolz auf das, was wir gemeinsam begonnen und geleistet haben.“ Und einen in der Debatte oftmals nicht ausgesprochenen Gedanken fasste Erler in Worte: „Entscheidend ist auch, dass alle Beteiligten, dass Helferinnen und Flüchtlinge Spaß an der gemeinsamen Arbeit haben.“ Ein Satz, der auch gut die allgemeine Stimmung der Stunden im „Prediger“ beschrieb; trotz des ernsten Themas und der großen gesellschaftlichen Aufgaben war die Atmosphäre konzentriert aber heiter. Den Satz des Tages hatte jedoch schon deutlich früher am Tag Kezban Celik beinahe beiläufig ausgesprochen: „Ich habe mit Menschen aus sehr vielen Kulturen zu tun. Zwischen diesen gibt es große Unterschiede. Doch in allen Kulturen, die ich kennengelernt habe, sind die Frauen aktiver und tatkräftiger als die Männer.“
Ein Ergebnis des Frauendialogs Flüchtlingsarbeit sind konkrete Forderungen in drei zentralen Themenfeldern:
Sprache und Bildung:
- Sprachkurse für Frauen müssen mit einem parallelen Angebot für Kinderbetreuung verbunden sein.
- Vernetzung und Transparenz hinsichtlich der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt, Lehrerinnen von VKL-Klassen sollen hierfür eine Wochenstunde bekommen.
- Alphabetisierungskurse für Frauen werden dringend benötigt.
Kontakt und Begegnung
- Die Vernetzung aller Akteurinnen sollte verbessert werden.
- Es gilt, Doppelstrukturen zu vermeiden.
- Bestehende Angebote und unbefriedigte Bedarfe müssen zusammengebracht werden.
Landeserstaufnahmeeinrichtung und Gemeinschaftsunterkünfte.
- Die Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit ist zu verbessern.
- Es werden mehr und bessere Angebote für Frauen mit Kindern benötigt. Anknüpfungspunkte könnten die Schulen sein – während die Kinder in der Schule sind, haben die Mütter Zeit.
- Väterrolle stärken. Eine stärkere Einbindung der Väter in Kinderbetreuung und Erziehung brächte dringend benötigte Freiräume für die Mütter.